Fritz Emslander, Kurator, Museum Morsbroich, Leverkusen
„Dinge so anzusehen, als sähe man sie zum erstenmal, ist eine Methode, an ihnen bisher unbeachtete Aspekte zu entdecken. Es ist eine gewaltige und fruchtbare Methode, aber sie erfordert strenge Disziplin und kann darum leicht mißlingen. Die Disziplin besteht im Grunde in einem Vergessen, einem Ausklammern der Gewöhnung an das gesehene Ding, also aller Erfahrung und Kenntnis von dem Ding. Dies ist schwierig, weil es bekanntlich leichter ist zu lernen als zu vergessen.“ (Vilém Flusser) 1
Dinge neu sehen
Von den eigenen Gewohnheiten zurückzutreten, um Dinge neu zu sehen, fällt im Alltag schwer. Die Dinge sind mit jenem „unsichtbaren Imperativ“ belegt, der uns vorschreibt, wie sie angesehen und wie sie gehandhabt werden sollen. Von diesem Imperativ abzusehen, ist eine Fähigkeit, von der Vilém Flusser meinte, sie verdiene, „geradezu die menschliche Fähigkeit genannt zu werden“, nämlich „von den Dingen Abstand zu nehmen und sie von vorher nicht eingenommenen Standpunkten aus zu sehen“. 2
Mit der Emanzipation der Kunst aus dem Diktat von Mimesis und Akademismus wurde diese Fähigkeit, sich zu distanzieren, auch für den Künstler zentral. Die Hinterfragung und Umwertung der „uns vom Kulturapparat aufgezwungenen Werte“ 3 lässt sich durchaus als künstlerische Tätigkeit auffassen: Sobald man mit Flusser ein Ding, beispielsweise eine Flasche als das sieht, was sie ist, und nicht als das, was sie sein soll, kann sie vielfältige Verwendungen finden, die von den Herstellern nicht beabsichtigt waren. Als Kerzenständer, Vase oder Aschenbecher umgewertete Flaschen werden zu „Zeugnisse[n] unserer Freiheit“ 4 – geschieht Entsprechendes in der Kunstsphäre, so unter dem Vorzeichen und als Ausweis künstlerischer Lizenz.
Die Dinge neu zu sehen und anders zu handhaben setzt ein kreatives Potenzial frei und einen Prozess in Gang, in dessen Verlauf sich ein praktischer und ästhetischer Mehrwert der Dinge erschließt. So wären etwa Pappbecher, die wir gewöhnlich nur als Trinkgefäß nutzen und dann entsorgen, in Flussers Verständnis Zeugnisse „unserer Passivität, unseres Getriebenwerdens“. 5 Wenn dieselben Einweg-Trinkbecher aber von diesem einen (hier bereits im Namen) vorgeschriebenen Weg abweichend verwendet werden, damit auch umgewertet und schließlich ausgestellt werden, sind sie Zeugnisse selbstbestimmten Handelns. Sie fordern ihrerseits ein aus den Bahnen der Konvention befreites Sehen ein.
In den Objekten von Thomas & Renée Rapedius bieten die Pappbecher, zu vegetabilen Stämmen (Stangen, Säulen) zusammengesetzt (O.007, 2006, vgl. Abb. S. 98/99) oder zu organisch gewundenen Röhren (Tentakeln, Kaskaden) ineinandergesteckt (O.024, 2007, vgl. Abb. S. 50/51), Anknüpfungspunkte für eine ganze Reihe möglicher Assoziationen. Im Sinne Flussers bezeugen diese Objekte eine Geschichte, die wir – die beiden Künstler und im geistigen Nachvollzug die Betrachter – nicht nur als Verbraucher erdulden, sondern selbsttätig gestalten. Sie sind „Denkmäler […] unserer Vergangenheit im wahren Sinne dieses Wortes“ 6, das heißt, die Künstler haben sich an den Pappbechern vergangen, haben sie gegen ihren vorgesehenen Zweck missbraucht und damit umgewertet und anderen Deutungen zugeführt.
Die beiden Künstler haben die Pappbecher an andere Orte überführt, zunächst in den Experimentalraum des Ateliers, dann in den Präsentationsraum des Museums. Im Atelier als dem Ort künstlerischer Produktion treffen sie auf die Instrumente ihrer mentalen und physischen Verwandlung. Anders gesagt: Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Dinge das Atelier wieder so verlassen, wie sie in es eingegangen sind. Im Museum als dem Ort der Rezeption sind die Dinge von jeglichem Gebrauch freigestellt und dem bloßen Sehen ausgesetzt. Es ist wahrscheinlich, dass die Künstler hier auf die Bereitschaft treffen, bisher unbeachtete Aspekte an den Dingen zu entdecken – seit Duchamps Readymades fällt auch das Vergessen zunehmend leichter.
Im Falle der Garnspulen, die Thomas & Renée Rapedius in einigen ihrer jüngsten, für die Ausstellung entstandenen Arbeiten verwenden, handelt es sich um Dinge, die erst freigelegt werden müssen, um überhaupt gesehen werden zu können. Erst wenn die Arbeit mit dem Garn ihrem Ende zugeht, kommt ein stabiler Kegel aus Pappe zum Vorschein. In einer raumgreifenden Arbeit (O.039, 2012, vgl. Abb. S. 26) ist das Garn erst zum Teil wieder aufgerollt und schon wieder teilweise abgerollt – eine Bewegung, die nur für den Moment angehalten scheint. Vor dem geistigen Auge drehen sich die Spulen weiter: entweder um in unterschiedlichen Farben erneut umgarnt, an ihren gewölbten Oberflächen rundum mit einer linearen Zeichnung versehen zu werden; oder aber um den innen liegenden geometrischen Körper sukzessive erst noch freizulegen, womit ganz wörtlich und handgreiflich dessen „Entdeckung“ einhergehen würde, nämlich die Entfernung der ihn verdeckenden Schichten.
Im übertragenen Sinne einer phänomenologischen Anstrengung „entdecke“ man mit Flusser neue Aspekte an Dingen, indem man die ihnen anhaftenden „Schichten der Gewöhnlichkeit“ 7 entferne. Löst man die freigelegte Spule aus den gewohnten Kontexten von Textilherstellung, Handarbeit und Kurzwaren, so lässt sich diese in ganz unterschiedliche Richtungen umwerten. Mal erscheint sie als architektonisches Modul in hochhausartigen Türmen, die sich zu einer Art Stadt gruppieren (O.046, 2012, vgl. Abb. S. 94/95), mal zu einem vielfach gegliederte Palmstamm gestapelt (O.047, 2012). In der oben erwähnten Arbeit (O.039, 2012) sind die Spulen, je zwei einander zugewandt, zu länglichen Formationen aufgereiht, die sich in einer ausgreifenden Geste grazil zwischen Boden und Decke des Ausstellungsraums spannen. Flankiert und zu einer Installation ergänzt werden diese Objekte von einigen Zeichnungen und Fotografien (vgl. Abb. S. 24–29), die in ihrer schwarz-weißen Zurückhaltung dezente Spuren streuen. Mag der Korpus der Objekte zunächst wie ein pflanzliches Gebilde erscheinen, etwa wie der Halm von Schilf oder Bambus, so verfliegt dieser Eindruck beim Anblick einer Tänzerin: In ihrer Nähe muten dieselben Körper wie formalisierte, zum Spitzentanz kunstvoll gestreckte Gliedmaßen an. Die Schmetterlinge einer weiteren Fotografie wiederum könnten von den kräftigen Farben der Garne wie von Blüten angelockt werden. Wie das Auge des Betrachters würden sie verschiedenen Impulsen folgend von einem Punkt zum nächsten flattern. In der prachtvollen Zeichnung der Schmetterlingsflügel hingegen schwingt noch indirekt das Pendant-Bild der Larven mit, die sich einspinnen, um dann komplett verwandelt die einengenden Kokons – formal den Garnspulen nicht unähnlich – wieder abzustreifen.
Nicht die Dramatik und das Spektakel dieser Metamorphose suchen Thomas & Renée Rapedius in ihren Installationen, wohl aber das Moment der Überraschung, der unerwarteten Wendung: wenn Dinge sich der Eindeutigkeit in dem Maße entziehen, in dem wir Abstand zu ihnen gewinnen und sie in neuen Zusammenhängen sehen; wenn sie sich unter den Händen der Künstler wie auch unter den Augen der Betrachter wandeln; wenn wir dabei zurücktreten können und zusehen, wie der Dinge Erscheinung sich formt.
Dinge auf Reisen
Auf Reisen ist es nicht nötig, Dinge von sich fortzurücken, da man sich ihnen ohnehin gerade erst aus größerem oder größtem Abstand annähert. Um anderswo ein Ding zu entdecken, muss der Reisende sich nicht erst wieder von ihm entfernen. Er muss es umgekehrt auch nicht darauf anlegen, die vertraute Nähe zu gewinnen, die der Einheimische zu den ihn umgebenden Dingen pflegt (was auch nicht ohne Weiteres möglich wäre). Will er die Dinge anders sehen, als sie für gewöhnlich gesehen werden, so verschafft ihm vielmehr gerade der Blick „von außen“ einen gewissen Vorsprung gegenüber den an ihre Dinge und ihre Umgebung gewöhnten Einwohnern.
Die unmittelbare Erfahrung des anderswo angetroffenen Dings wiederum vermag es, den Reisenden aus der Reserve seiner eigenen, durch Konventionen bedingten Wahrnehmung zu locken. Sobald er nur ein wenig über den Rand seiner „Brille“ hinwegsieht, kann es ihm mit Leichtigkeit, ja spielerisch gelingen, an den Dingen Aspekte zu entdecken, die wohl kaum aus medial vermittelter Ferne noch aus allzu gewohnter Nähe zur Erscheinung kämen.
Als Beispiel mag ein mehrteiliges Objekt dienen, das wir einer Entdeckung verdanken, die Thomas & Renée Rapedius auf einer Indienreise machten (O.031, 2010, vgl. Abb. S. 131). Eine Bienenwabe, die als halbkreisförmiger Beutel von einem Ast hängt, ist für einen Inder etwas, das er selbst in städtischen Gegenden alltäglich sehen kann und alsbald übersehen wird. Sieht man aber in dem merkwürdigen Baum-Anhang nicht (nur) das Bienenheim, so erscheint er zunächst als eine auffallend regelmäßige, fast geometrische Form, die an ihrer Oberfläche schillert (diese ist von unzähligen Bienen mit ihren reflektierenden Flügeln besetzt). Das erstaunliche Gebilde rückt in die Nähe von glamourösen Textilien oder auch von an Stangen hängenden Fahnen, in luftiger Höhe angebracht. Vergisst man eine Weile lang die Bienen und versucht gar nicht erst, diese Formen mit den Augen der Biologen oder Imker zu sehen, so bieten sich verschiedene Assoziationen an, es öffnet sich ein ganzer Assoziationsraum. Selbst wenn man dann erfährt (oder sich ins Gedächtnis zurückruft), dass man unter einem Bienenbaum steht, an dem mehrere Völker der asiatischen Riesenhonigbiene ihre Nester anbringen, und wenn man die Funktionalität der Waben als Grund ihrer für den Europäer außergewöhnlichen Form erkennt, so lässt sich davon schnell wieder Abstand nehmen. Das nicht Gewohnte erweist sich als leichter zugänglich für außergewöhnliche oder unkonventionelle Deutungen. Könnten diese flächig zu Halbkreisen ausgedehnten, weithin sichtbar angebrachten Gebilde die Tiere nicht nur behausen, sondern auch in Analogie zu gängigen Flaggen die Bienenvölker nach außen hin zeichenhaft repräsentieren?
Thomas & Renée Rapedius stellen sich der Herausforderung, solche Reiseeindrücke in ihrer Vielschichtigkeit für ihre Kunst fruchtbar zu machen und sie in künstlerische Werke zu überführen. Im Ausschnitt einer Fotografie oder auf dem Zeichenblatt lösen sie einzelne Formen aus ihrem ursprünglichen Umfeld. Ähnliche Formen, die sie während ausgedehnter Reisen an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kontexten finden, fügen die beiden nach und nach zu einem großen Fundus, auf den sie immer wieder zugreifen. Auch für die Skulpturen und dreidimensionalen Objekte werden Formen isoliert und damit auf Abstand gesetzt. Deren Planung und Realisierung geht aber mit einem teils längerwierigen Prozess der experimentellen Aneignung einher. Um geeignetes Material zur Umsetzung zu finden, testen sie infrage kommende Materialien auf ihre Stabilität, Flexibilität und Mobilität hin – wobei Eigenheiten und Widerständigkeit des Materials ihrerseits den Prozess der Formfindung durchaus beeinflussen.
Wie eine Übersetzung abhängig von der Sprache, in die sie erfolgt, verschiedene Aspekte der übersetzten Ausgangsphrase ansprechen kann und unterschiedliche Konnotationen ermöglicht, so bedingen auch bestimmte Materialeigenschaften die Möglichkeiten der künstlerischen Anverwandlung wie der späteren Deutung einer Form durch den Betrachter. Dabei stellen die beiden Künstler sich der Aufgabe, für ihre Übersetzung einerseits eine konkrete Form finden zu müssen, andererseits aber Eindeutigkeit im Sinne der Festlegung auf eine Lesart zu vermeiden, um das Assoziationsfeld, das sich ihnen erschlossen hat, auch auf den Betrachter hin zu öffnen. Und so bleiben bei der Umsetzung und Präsentation von O.031 die Bienen außen vor. Der Betrachter darf getrost den unbedarften Standpunkt des Reisenden einnehmen, der mit neugierig-staunendem Blick über sich mehrere Metallstangen aus der Wand herausragen sieht, von denen schwarze, Pailletten-bestickte Stoffe zu Halbkreisen genäht herabhängen. Ihm wird nicht gesagt, was das sein soll, er wird vielmehr gefragt, was es alles sein könnte.
Dinge in der Möglichkeitsform
Durch diese Offenheit ihrer Arbeiten und durch die Art und Weise, wie sie Objekte, Zeichnungen und Fotografien im Ausstellungsraum zu Installationen arrangieren, setzen Thomas & Renée Rapedius alles, was da erscheint, in die Möglichkeitsform. Und sie versetzen den Betrachter in die Lage, die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auszumachen, die sich ihm aus dem installativen Neben- und Miteinander von Formen und Motiven ergeben.
Unmittelbar ins Auge fallende Korrespondenzen von Formen aus Natur und Kultur signalisieren dem Betrachter, dass alle als Teile dieser medienübergreifenden Arrangements das Potenzial in sich tragen, vielseitig miteinander verbunden zu werden: etwa die gezackten, verzweigten Formen in einer Luftaufnahme eines Flusses, in der Zeichnung eines Blitzes, der Fotografie einer entlaubten Kletterpflanze, den Risslinien an einem Blatt Papier, einer Wandarbeit aus in Zickzacklinien verlaufenden Holzobjekten (O.015/2, 2006/12, vgl. Abb. S. 46/47). Der Betrach-ter begibt sich in eine Art ästhetische Versuchsanordnung, in deren Spannungsfeld formale Analogien kurzschlussartige Reaktionen provozieren können. Solche Kurzschlüsse werden einerseits dadurch ermöglicht, dass die Künstler die Widerstände herkömmlicher Klassifikationen herabsetzen, indem sie so unterschiedliche Bereiche wie Flora, Fauna, Geologie, Architektur und Tanz nicht streng isolieren. Durch Isolationsänderungen – um im Bilde des elektrischen Kurzschlusses zu bleiben – kann zwischen den Polen einer Installation eine nahezu widerstandslose Verbindung hergestellt werden. Der Betrachter ist es, der solche Verbindungen aktiviert oder einen eigenen Impuls auf einen leitfähigen Körper gibt: In solchen Momenten ereignet sich ein extremer Fluss bildassoziativer Energien, ein Geistesblitz. Im vielpoligen Netz können derartige Aha-Effekte durchaus Folgereaktionen auslösen und auch zu Umpolungen führen. Ist man beispielsweise einmal auf wiederkehrende Motive wie den Kreis und den Wirbel gestoßen, so kann das in der eigenen Wahrnehmung die Erscheinung ganzer Räume dynamisieren und den durch die Ausstellung sich Bewegenden in eine Art Taumel versetzen.
Das Vergnügen, das spontane und unerwartete Verknüpfungen bereiten, erhöht auch beim Betrachter die Bereitschaft, seinerseits alle Dinge in der Ausstellung auf ihre Möglichkeit zu hinterfragen, als etwas anderes zu erscheinen. Man sollte sich deshalb nicht zu schnell festlegen. Aber da wären beispielsweise die aufgefächerten und beschnittenen Skizzenblöcke, die sich auf dem Boden zu einer Landschaft von Kakteen oder Anemonen ausbreiteten. Unweit davon drei Objekte aus schmalen Streifen von Plexiglas, die über rundem Grundriss kegelförmig aufsteigen, um an ihren Spitzen von schwarzem Gummi eingefasst zu werden – Vulkane, wenn man so möchte (O.029, 2009/11, vgl. Abb. S. 86/87 und O.038, 2011, vgl. Abb. S. 58/59). Auf langen, in umgekehrten Trichtern steckenden Holzstäben sind Straußenfedern montiert, die an exquisite Staubwedel denken lassen, aber auch an Palmen – zumal die drei Objekte in einem Raum mit Oberlichtdecke stehen und in unmittelbarer Nachbarschaft die Fotografie eines Gewächshauses platziert ist (O.037, 2011, vgl. Abb. S. 78). Getünchte Metallstangen, deren filigrane Linien sich zur abstrahierten dreidimensionalen Zeichnung einer Spinne fügen, wenn man es denn so sehen kann (dann spreizt sie sich regelrecht in den Raum) – oder aber zur expansiven Form eines Vulkans, dessen Lavakanäle die Stangen in ihrer Flussrichtung nachzeichnen (O.036/2, 2011/12, vgl. Abb. S. 62/63). Ob man das eine oder das andere oder etwas Drittes darin sieht, hängt von der eigenen Wahrnehmungsdisposition und Einbildungskraft ab, wesentlich aber auch von der Position der jeweiligen Arbeit innerhalb der Rauminstallationen sowie im Gefüge der gesamten Ausstellung.
Thomas & Renée Rapedius entwerfen, wie sie einmal gesagt haben, „eine Choreografie für die Bewegung und die Blicke der Betrachter, für ihre Reise durch die Ausstellung“. In einer solchen Choreografie ist der Betrachter als versierter Interpret und in seiner Improvisationsgabe gefordert. Es gibt in ihr zwar einige markante Stationen, doch weder Anfang noch Ende – eine strukturelle Offenheit, der die architektonische Anordnung der Räume der Grafiketage im Museum Morsbroich zu einem Rundgang mit zwei möglichen Eingängen entgegenkommt. Die Künstler schicken den Ausstellungsbesucher auf eine Rundreise. Zweifellos wird er die zuerst gesehenen Werke, wenn er ihnen am Ende seiner Reise wiederbegegnet, anders sehen. Würde er den Gang durch die Ausstellung auf demselben Weg wiederholen, so würden sich ihm vor dem Hintergrund des Ganzen sicherlich neue Aspekte erschließen. Ändert er im zweiten oder dritten Anlauf dann auch noch die Gangrichtung, so kommt es im quasi tänzerischen Hin und Her vollends zu einer Vervielfachung der Perspektiven und Standpunkte. Nach und nach verdichten sich Objekte, Zeichnungen und Fotografien zu assoziativen Systemen, die Zusammenhänge und Querverbindungen zwischen den Werken erkennen und allseits herstellen lassen. Immer wieder entgleitet uns dabei die Erscheinung der Dinge, um sich im Licht neuer Deutungen und verschobener Perspektiven neu zu formen. Der Tanz mit den Dingen erweitert auf spielerische Weise unseren Blick.