Tina Lüers, Kritikerin, Göttingen
Mit „falten, schichten, wandeln“ haben Thomas & Renée Rapedius im Kunstverein Göttingen eine Ausstellung, die die Konsequenz ihrer Arbeit zeigt. Substrat und ausuferndes Ganzes in einem.
Unter den Falten der Schwämme geht es sich wie im tiefen Wald, feucht ist die Luft, die Nahrung der schönen haubenartigen Parasiten hat eine gute Grundlage. Hell, grau, weiß, schwarz sind die schwammartigen Papierfaltungen über die Wandfläche verteilt, unregelmäßiger Märchenwald, königlicher Baldachin und zartgliedrige Struktur in einem. Im Nebenraum ändert sich die Vegetation schlagartig. Zwei Felder von Kakteen bewachsen den Boden. Einige sind flache runde Kugeln, andere recken sich hoch auf, manche tragen eine kleine Krone wie eine strahlende, sternförmig glitzernde Blüte obenauf. Ihr Papier birgt die Form. Schlangenartig ragen in kleiner Entfernung Lianen auf, verteilen ihre Tentakeln über den Boden, scheinen sich zwischen den Füßen der Besucher hin und her zu winden. Unweit wippen die Palmenstämme im Wind, der die zu dieser Struktur gestapelten Pappkartons ebenso umsaust wie die schmalen Gebirgslinien, unter deren schroffen Graten allein der leere Raum bleibt. Ein dunkel gedoppeltes Nebelgebirge verweist auf landschaftliche Stereotypen von Wandrers Nachtlied bis Fototapete. In ihren Falzen spiegeln sich Horizonte und Erwartungen wieder.
Die Rauminstallationen von Thomas & Renée Rapedius spielen mit den Strukturen der Wirklichkeit, formen sie nach im Alltagskleid der Zivilisation. Aus geheftetem Papier und dünnem Karton entstehen die Sukkulenten, aus braunen Pappkartons die Stämme von Palmen im Wind. Wie durch die Gedankengänge, aber auch wie durch eine ganz manifeste Wirklichkeit kann sich der Besucher bewegen. Wandeln in den Schichten, im Dunkel der Falten, im Schatten der feinsten Knicke und im Licht der gegenüberliegenden Seiten, ist Lustwandeln durch einen Gesamtentwurf. Denn als solcher ist die Ausstellung, die alle sechs der in hellen, brüchigen Zimmerfluchten gelegenen Göttinger Räume miteinander zu verbinden versteht, zu sehen. Das immanente Bezugssystem der Arbeiten verwebt eines ums andere miteinander, ein Garten, der in die Landschaften der Welt übergeht, ihre Extreme, Wüsten, Berge, Wälder, Seen aneinander spiegelt und mit den Reflexionen der Kulturlandschaften bricht. In größter ästhetischer Präzision und gleichzeitiger Offen- und Prozesshaftigkeit ist im Atelier der Künstler entstanden – gleichsam als das Substrat ihres gemeinsamen Schaffens –, was in den absichtlich so schlank besiedelten Räumen des Künstlerhauses zu sehen ist: ein Ganzes. Dazu gehört neben den Installationen weiteres: Fotografien von Architektur, Natur, von Tänzerinnen der 20er Jahre, eine von ihnen ist Suzanne Perrottet, und von den Entstehungslinien der Werke: Zeichnungen, die Umrisse und Wege zerknüllten Papiers, weiße Gebirgslinien, sprudelnde Ketten auf dunklem Grund. Zu erkennen darin ist die Meta-Ebene, sie löst Schritt um Schritt Verknüpfungspunkte, vergisst die die durch die Architektur vorgegebene Reihenfolge sowie die Platzierung und macht sie durchlässig. Das gelingt sicher nicht zuletzt auch dadurch, dass die Strukturen der Gedankengänge, der durchschrittenen Diskurse offen liegen und eben deswegen wieder in den Hintergrund zu rücken vermögen.
Im Katalog, der ein Künstlerbuch feinen Papiers ist und in seiner Umsetzung die Sorgfalt der Installationen spiegelt, zeigt sich, dass der den einzelnen Installationen innewohnende ortsspezifische und kontextabhängige Ansatz auch für das Gesamte gilt, wenn im quasi erweiterten Entwurf noch andere Installationen hinzukommen. Halb ingerollte Gebirgszüge verweisen einmal mehr auf den landschaftlichen Charakter, der der Kunst nicht entgegensteht und auch darauf, dass der Gegensatz zwischen Natur und Kultur nur ein erzwungener ist, sich in den Wandlungen und im Wandeln der Welt auf das Schönste anverwandelt und ihr gleichwohl gegenüber steht.